EVA BRUNNER
Photography | Text | Translations

Dr. Bernhard Kempen

Einführung zur Vernissage der Photoausstellung

„Phasenübergänge“

von Eva Brunner

am Dienstag, den 17.5.2016, in der Buchhandlung Hirslanden, Zürich

 

Meine Damen und Herren, liebe Freunde, Grüezi miteinand!

Das ist auch schon fast alles, was Sie von mir an Schwyzerdütsch erwarten können. Früher dachte ich mal, dass ich Schwyzerdütsch ganz gut verstehe und sogar ein bisschen sprechen kann. [Im schweizerischen Akzent von Emil Steinberger gesprochen:] Als ich damals in meiner Jugend die wunderbaren Sketche von Emil gesehen habe. Seinerzeit habe ich das tatsächlich für Schwyzerdütsch gehalten, bis ich gehört habe, wie sich die liebe Eva mit ihren Schweizer Freunden unterhält. Und da hab ich denn als norddeutscher Fischkopp ersma ganix mehr verstanden, ne? Aber es wird langsam besser. Ich kriege immer noch nicht alles mit, aber jedes Mal ein bisschen mehr.

Und zum Glück werden Sie mich verstehen, wenn ich Sie nun zur Vernissage der Photoausstellung „Phasenübergänge“ hier in der Buchhandlung Hirslanden willkommen heiße. Es handelt sich sozusagen um den Auftakt der großen „Eva-Brunner-Festwoche“, die am Freitag, den 20.5.2016, mit der Premiere ihres Theaterstücks „Der kleine Gatsby“ in Luzern fortgesetzt wird. Ich finde, es ist an der Zeit, dass diese so unglaublich bescheidene Autorin, Übersetzerin und Fotografin die ihr gebührende Aufmerksamkeit erhält!

Als ich mir die ersten Gedanken über diese Einführung gemacht habe, wurde mir sehr schnell klar, dass ich mich dem Thema nur mit einem sehr persönlichen Ansatz nähern kann. Das fängt schon damit an, dass ich mich irgendwann von Eva breitschlagen ließ, hier die Einführungsrede zu halten, obwohl ich eigentlich gar nicht der große Experte für Fotografie bin. Andererseits kann ich sehr wohl eine Menge zu diesen Fotos hier sagen. Was glauben Sie, wessen Silhouette auf einigen dieser Bildern zu sehen ist? Neben meinen diversen akademischen und literarischen Tätigkeiten habe ich jetzt auch noch einen Nebenjob als Fotomodell!

Wie ist es dazu gekommen? Dazu muss ich wieder etwas persönlicher werden. Als ich Eva vor etwa drei Jahren kennengelernt habe, habe ich mich zunächst nicht als Dr. Bernhard Kempen vorgestellt, sondern als Barbara – einfach nur Barbara! Das war auf einer netten Party, zu der ich mich mit Minirock, Highheels und Perücke aufgehübscht hatte. Daraus entwickelte sich zum einen eine wunderbare Beziehung, und es entstanden gleich mehrere, ebenfalls sehr beeindruckende Fotoserien mit meiner weiblichen Transidentät.

Wie kommt man(n) dazu, eines Tages als Transe loszustöckeln? Bei mir war es so, dass ich mich schon immer etwas unwohl gefühlt habe, wenn man mich als offensichtlich männliches Wesen zu sehr mit männlichen Rollenvorstellungen identifiziert. Und mit Eva habe ich dann endlich jemanden gefunden, der mit beiden Seiten von mir klarkommt. Und das hat interessanterweise auch dazu geführt, dass ich mich inzwischen mit meiner männlichen Gestalt viel wohler fühle.

Vielleicht wundern Sie sich ein bisschen, warum ich Ihnen das alles erzähle. Aber keine Sorge, das hängt durchaus irgendwie zusammen. Und es hat – zumindest für mich – eine Menge mit diesen Fotos zu tun. Hier bin ich nämlich – man kann fast sagen, ausnahmsweise – mal in männlicher Gestalt zu sehen. Und auch diese Fotos sind richtig gut geworden, wie ich finde!

Was ist nun das Besondere an diesen Bildern? Abgesehen von der Tatsache, dass ich darauf zu sehen bin, was mich natürlich sehr freut. Aber auch nicht auf allen …

Dazu muss ich schon wieder recht persönlich werden. Eva hatte ursprünglich einen ganz anderen Titel für diese Ausstellung geplant, irgendwas mit Spiegelungen oder Reflexionen. Das hätte auch gepasst, aber als sie mir dann ihre Auswahl gezeigt hat, damit ich auf ein paar Ideen komme, was ich hier heute Abend erzählen könnte, habe ich plötzlich ein ganz anderes Thema in diesen Bildern gesehen. Ich glaube, Eva hat kein Problem damit, wenn ich hier ausplaudere, dass der Titel „Phasenübergänge“ meine Idee war.

Ich weiß ja nicht, wie gut Sie in der Schule in Chemie und Physik aufgepasst haben. Mein Fachgebiet ist ja eigentlich – jetzt kommt wieder etwas ganz anderes – die Science Fiction. Das bedeutet, dass ich mich auch als Geisteswissenschaftler oft mit naturwissenschaftlichen Themen beschäftige. Deswegen war ich geradezu prädestiniert, auf so eine Idee zu kommen.

Ein Phasenübergang ist, wenn ein Stoff in einen anderen Aggregatzustand übergeht. Wenn Wasser kocht und zu Wasserdampf wird. Oder gefriert und sich in Eis verwandelt. Oder umgekehrt, wenn’s taut oder kondensiert. Fast jede Substanz ist, je nach Temperatur, mal fest, mal flüssig, mal gasförmig. Es ist immer noch die gleiche Substanz, aber bei einem Phasenübergang ändern sich schlagartig die Eigenschaften dieser Substanz. Auch Eis ist einfach nur Wasser, aber der Unterschied dürfte Ihnen bewusst werden, wenn sie im selben See baden, auf dem Sie noch ein halbes Jahr zuvor Schlittschuh gelaufen sind.

Das entspricht ungefähr den vier klassischen Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer. Auch das Feuer gehört dazu, wobei die Physiker in diesem Fall lieber vom Aggregatzustand des Plasmas reden, wenn’s nur noch lodert und brennt. Und genau genommen gibt es noch viel mehr: Ein Kristall ist ein ganz besonderer Zustand, den bestimmte Substanzen annehmen können. Unter extremen Bedingungen können Suprafluide, mesomorphe Zustände oder Bose-Einstein-Kondensate entstehen. Und jede Form von Leben ist im Grunde auch ein sehr spezieller Aggregatzustand.

Und genau das habe ich sofort in diesen Fotos gesehen. Den Moment des Phasenübergangs, in dem alles uneindeutig ist, wo noch unklar ist, was sich am Ende herauskristallisieren könnte. Überall sieht man hier Dinge, bei denen man sich erst einmal fragt, ob sie nun fest, fließend oder flüchtig sind. Der Übergang von Stein zu Erde zu Schlamm zu Wasser. Oder Wolken, die sich in Glas spiegeln, zugleich luftig und fest.

Übrigens ist Glas eigentlich gar kein fester Stoff, sondern eine Flüssigkeit. Wenn eine Glasschmelze abkühlt, nimmt lediglich die Viskosität zu, das heißt, die Flüssigkeit wird immer zäher, bis sie nahezu unendlich langsam fließt, sodass sie sich scheinbar wie ein fester Körper verhält – aber eben nur scheinbar. Ein kontinuierlicher Phasenübergang, der nie ganz abgeschlossen ist – ein amorpher Aggregatzustand. Auch so etwas gibt es.

Und auf diesem Bild spiegelt sich ein fester, lebender Körper in flüssigem Wasser, das von Bewegungen der gasförmigen Erdatmosphäre gewellt wird. Ist das dann überhaupt noch ein fester Körper? Oder etwas Flüssiges, das sich an der Grenzschicht zur Luft abspielt? Obwohl es letztlich doch nur ein Bild ist, ein Foto, ganz konkret eine Ansammlung von Pigmenten auf Alu-Dibond kaschiert, insgesamt also doch wieder ein Objekt im festen Aggregatzustand. Aber eigentlich geht es doch um das Licht, das wir hier sehen, und Licht ist Energie, also quasi Feuer, der vierte Aggregatzustand. Eingefangen vom lebenden Auge und von der mechanischen Kamera der Fotografin, digital gespeichert und auf diesem Foto wieder sichtbar gemacht, zum Leben erweckt.

Apropos Leben: Ich mit meinem recht speziellen, bereits erwähnten Hintergrund habe da natürlich noch eine weitere Parallele gesehen. Wenn ich mich von Bernhard in Barbara verwandle, hat auch das etwas von einem Phasenübergang. Plötzlich fühlen sich viele alltägliche Dinge ganz anders an. Ich sehe die Welt mit anderen Augen, und die Menschen gehen ganz anders mit mir um. Als wäre ich science-fiction-mäßig in einem Paralleluniversum gelandet, in dem sich die Raumdimensionen irgendwie verschoben haben.

Auch auf diesen Fotos sind die Perspektiven zunächst einmal unklar. Wo ist vorn oder hinten? Steht das vielleicht etwas auf dem Kopf? Was sehe ich da eigentlich? Aber dann lässt man sich einfach mal auf dieses fremde Universum ein. Obwohl all diese Bilder Splitter unserer vertrauten Wirklichkeit sind. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass an diesen Bildern – außer ein paar Kontrast- und Formatanpassungen nichts digital bearbeitet wurde. Bei manchen dieser Fotos könnte man vielleicht auf die Idee kommen, aber all diese Perspektiven hat die Fotografin in diesem Moment tatsächlich so gesehen. All diese Phasenübergänge sind Realität!

So, nu ha’ick aber ma jenuch jelabert, wa? Jetzt können Sie sich die Fotos in Ruhe ansehen und die Fotografin persönlich kennenlernen –  oder auch ihr Lieblingsfotomodell … Und natürlich dürfen Sie auch gerne einen ökonomischen Phasenübergang einleiten, damit Sie diese Bilder nicht nur als ätherische Erinnerung, sondern in festem Aggregatzustand des persönlichen Eigentums mit nach Hause nehmen können.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen noch einen schönen Abend! [Wieder mit „Emil-Akzent“:] Und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

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